Gesetzliche Krankenversicherung: Ärzte riskieren Regressforderungen bei Online-Versorgung mit Hilfsmitteln
Warum eine rein digitale Abgabe von Hilfsmitteln wie orthopädischen Einlagen zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) den Anforderungen der deutschen Sozialgesetzgebung nicht entspricht, erläutert Prof. Dr. iur. Dr. med. Alexander P. F. Ehlers in der Oktober-Ausgabe der Fachzeitschrift „ORTHOPÄDIE TECHNIK“ (OT). „Bei der Versorgung der GKV-Versicherten gilt es, bestimmte Qualitätsstandards einzuhalten“, betont der Fachanwalt für Medizinrecht und Facharzt für Allgemeinmedizin sowie Partner der Rechtsanwaltsgesellschaft MBB Ehlers, Ehlers & Partner im Interview.
Gesetzliche Krankenkassen seien nicht berechtigt, die Kosten für rechtlich unzulässige Versorgungen zu erstatten. Eine digitale Abgabe müsse den Anforderungen des Sozialgesetzbuches (SGB) Fünftes Buch (V) entsprechen, wie der Medizinrechtsexperte Prof. Ehlers im OT-Gespräch ausführt. „Eine rechtliche Grauzone liegt nicht vor, die Sachverhalte sind abschließend gesetzlich geregelt.“
Demnach sei es beispielsweise nicht zulässig, mit der Erstattungsfähigkeit eines rein digitalen Vertriebs orthopädischer Einlagen in der GKV zu werben: „Eine solche Werbung könnte wettbewerbsrechtlich abgemahnt werden – als irreführende Werbung nach dem Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb. Denn derartige Leistungen dürften nicht zulasten der GKV abgerechnet werden.“ Weiterhin führt der renommierte Medizinrechtler aus: „Sollte dies trotzdem erfolgen, dann könnte sich der verordnende Arzt bzw. die Ärztin Regressforderungen gegenübersehen.“ Sollten Leistungserbringer abrechnen, ohne dass eine gültige ärztliche Verordnung vorliege, „sind wiederum diese gegenüber der gesetzlichen Krankenkasse möglicherweise zu Rückzahlungen verpflichtet.“
Selbst eine Gesetzesanpassung könne diesen rein digitalen Vertrieb auf GKV-Rezept über Onlineplattformen nicht ohne Weiteres legalisieren: „Die derzeitige Versorgung ist State of the art. Auch bei einer Änderung gesetzlicher Bestimmungen muss die Qualität der Leistungserbringung weiterhin sichergestellt sein. Es darf keine Verschlechterung erfolgen.“ Das gelte generell für die Versorgung mit Hilfsmitteln.
Zwar hinke die medizinische Versorgung in Deutschland in Sachen Digitalisierung hinterher, so Prof. Ehlers. „Gleichwohl muss man dabei aufpassen, dass man nicht in eine qualitative Unterversorgung hineinrutscht. Digitale Versorgungsmodelle können nur anstelle der analogen greifen, wenn die allgemeinen Vorgaben im Hinblick auf Qualität und Nutzen eingehalten werden. Zu einer Verschlechterung bei der Versorgung der gesetzlich Versicherten darf es nicht kommen.“ Wenn die Qualität leide, tue man weder den Patientinnen und Patienten, noch dem Gesundheitswesen einen Gefallen – speziell im Hinblick auf Folgekosten.
Das vollständige Interview ist in der Ausgabe 10/2023 der OT erschienen sowie online hier.
Zur Person: Prof. Dr. iur. Dr. med. Alexander P. F. Ehlers ist Fachanwalt für Medizinrecht und Facharzt für Allgemeinmedizin sowie Partner der Münchner Rechtsanwaltsgesellschaft mbB Ehlers, Ehlers & Partner. Der Hochschullehrer und Experte in den Bereichen des Medizin-, Pharma- und Gesundheitsrechts hat die Ehrenpräsidentschaft der Gesellschaft für Recht und Politik im Gesundheitswesen (GRPG) inne. 2023 veröffentlichte er ein „Gutachten zu der rechtlichen Bewertung des Outsourcings von Orthopädietechnikleistungen“, das auf Initiative der Landesinnung Bayern Orthopädie Technik erstellt wurde. Darin wurden die rechtliche Zulässigkeit bzw. Unzulässigkeit, die rechtlichen Rahmenbedingungen und der medizinische Nutzen bzw. die medizinischen Gefahrenquellen des Outsourcings von Orthopädietechnikleistungen am konkreten Beispielsfall der orthopädischen Fußeinlagen (PG 08) geprüft und dargelegt. Zwölf Innungen des Spitzenverbandes für Orthopädie-Schuhtechnik e. V. (SpiOST), sechs Landesinnungen für Orthopädie-Technik sowie die fünf Innungen für Orthopädie-Technik in Nordrhein-Westfalen hatten es in Auftrag gegeben.